Auszeichnung für junges Talent
Für ihr Projekt MIKMA wurde die Designerin Nadezda Suvorova vom Migros-Kulturprozent mit einem Werkbeitrag Digitale Kultur ausgezeichnet. Mit Eleganz treffen bei diesem Multimedia-Spiel Wissenschaft, Technologie und Poesie aufeinander.
Die digitalen Arbeiten Nadezda Suvorovas gleichen einer Reise in den Weltraum. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn die Designerin arbeitet mit Satellitenbildern, die hauptsächlich von der NASA stammen. «Raum» an sich ist ein zentrales Thema in ihren Werken, die vom digitalen Puzzle über geografische Erkundungen bis hin zu Spielen reichen, die sich mit Massstäben auseinandersetzen. Letzteres wird in MIKMA vertieft. Mit der interaktiven iPad-App kann man das unendlich Grosse und das unendlich Kleine erkunden. Die Künstlerin bezeichnet ihre Projekte nicht als Videospiele, sie spricht lieber von «spielerischen Experimenten», womit sie die innovative und fesselnd realistische Seite ihrer Werke treffend umschreibt.
Seinen Weg er-finden
Bevor die junge Russin und Wahlgenferin sich dem interaktiven Design zuwandte, studierte sie Grafik. Nach einem Bachelor in Jekaterinburg, der Hauptstadt des Urals, bricht Suvorova ins sonnige Marseille auf. Schon seit einiger Zeit lernt sie Französisch und ist nun auf der Suche nach einer Schule, an der sie ihre Ausbildung fortsetzen kann. Die Hochschule für Kunst und Design in der südfranzösischen Stadt interessiert sie vor allem aufgrund des Kurses für digitale Experimente. Nach Französisch entdeckt sie hier eine weitere Sprache: die der Informatik. «Der Wechsel von Grafik zu Multimedia war methodisch und inhaltlich nicht besonders einschneidend. Lediglich das Programmieren war neu für mich.»
Nach einem sechsmonatigen Austausch an der Hochschule für Kunst und Design HEAD in Genf, fasst sie den Entschluss, sich dort für einen Master in Mediendesign einzuschreiben. «In Genf traf ich auf die richtigen Professoren und die nötige Unterstützung, um mein Talent zu entfalten.» Doch anstatt auf einem ausgeschilderten Weg Richtung Karriere zu eilen, findet sie dort Raum zum Forschen und Experimentieren. In so einem neuen Studiengang liegt es an den Studierenden selbst herauszufinden, welche Richtung sie auf diesem weiten Feld einschlagen möchten. Die Möglichkeiten reichen von der Robotik bis zu Videospielen. Die Absolventin erinnert sich: «Wir fühlten uns ein bisschen wie Pioniere, all diese aufkommenden Techniken – wir mussten unseren eigenen Weg erfinden.» Die Erfindung des Smartphones liegt damals nur knappe zehn Jahre zurück und dass das erste iPad, Suvorovas bevorzugtes Medium, kam erst 2009 auf den Markt. Man kann also getrost sagen, dass noch alles zu erfinden bleibt.
Seit ihrem Studienabschluss arbeitet Suvorova freiberuflich für Kunden wie Audi, Red Bull oder auch Museen. Gleichzeitig hat sie gemeinsam mit ihrer Kollegin und ehemaligen Kommilitonin Laura Couto Rosado, die auf die Herstellung robotischer Objekte spezialisiert ist, ihre eigene Firma auf die Beine gestellt: Digital Alchemy. «Wir haben angefangen unsere beiden Arbeitsgebiete, Interface und Objekt, miteinander zu vermischen. Dadurch entstehen Projekte in hybriden Formen.» Durch die Arbeit an Kreationen, die Hard- und Software miteinander verbinden, gelingt es Suvorova, sich von Computern und Tabletts zu emanzipieren und dadurch ihre kreative Freiheit beträchtlich zu erweitern.
Die Poesie ist entscheidend
Dieses Konzept hat sie auch in der Ausstellung Inseln im Museum Strauhof in Zürich vorgestellt. Eine interaktive Installation, die von Judith Schalanskys Buch Atlas der abgelegenen Inseln inspiriert ist, erlaubt es dem Besucher, in Repräsentationen mystischer Atolle zu navigieren, indem er seine Hände auf einer Kontrollkugel bewegt. Man kann die Küsten der Atolle erkunden, sich ihnen annähern oder von ihnen wegsteuern. «Wir wollten die Geschichte dieser Inseln interaktiv und spielerisch darstellen.» Wie bei den meisten ihrer Projekte stammen die Bilder nicht von der Designerin selbst. «Ich bearbeite existierende Fotografien», erklärt sie. «Ich interagiere mit ihnen und der Code animiert sie.» Wie eine Art Collage, hat die Komposition eine poetische Dimension. «Man spürt deutlich den Einfluss des grafischen Designs», bekennt Suvorova. «Ich hatte mich immer schon für abstrakte Kreationen, optische Illusionen und Geometrie interessiert. Mediendesign ist die simple Weiterführung davon.»
Auch wenn ihre ausgefeilten Werke meist auf wissenschaftlichen Fotografien beruhen, gleiten sie zuweilen ins Abstrakte. Sie sind weit von dem Design eines Videospiels wie Minecraft entfernt – um ein extremes Beispiel zu nennen. «Ich will zeigen, dass Technologien auch auf andere Weise eingesetzt werden können, dass man sie aus ihrem maskulinen Universum befreien kann. Man kann auch kreativ mit ihnen umgehen, Poesie passt durchaus zu einem solchen Projekt.» Ein Standbein in der Poesie, eines in der Praxis und immer im Bewusstsein, dass das Eine das Andere nicht ausschliesst – so geht Suvorova ihren Weg.
Milchstrasse und Himmelsansicht
Weltallansichten, Satellitenbilder, wissenschaftliche Illustrationen – das visuelle System von Nadezda Suvorova ist vom Kosmos geprägt: «Schon als Kind hatte ich diese Leidenschaft. Ich habe es geliebt, ins Planetarium zu gehen. Während meines Studiums habe ich dann regelmässig die Internetseite der NASA besucht – und entdeckt, dass alle Bilder frei zugänglich sind und jeder sie benutzen darf.» Eine unglaublich wertvolle Quelle, die einem den Himmel öffnet, der doch von uns allen geteilt wird. Die Decke des Zimmers, in dem unser Gespräch stattfindet, schmückt eine Karte des Erdballs.
Über die unmittelbare Wirkung dieser Bilder hinaus, ist Suvorova von den Fragen, die sie aufwerfen, fasziniert. Sie sucht nicht nur ein ästhetisches Vergnügen, erklärt sie, sondern möchte auch etwas lernen: «Ich will wissen, wo diese Bilder herkommen, wie sie organisiert sind und welche Programme verwendet wurden. Neben der tieferen Bedeutung interessiere ich mich für ganz praktische Aspekte ihrer Herstellung. Ich bin eine sehr neugierige Person, aber auch sehr logisch strukturiert.» Mit dieser spontanen Selbstcharakterisierung resümiert sie sehr treffend ihre Arbeitsweise. Von ihrer Neugier können alle profitieren. Ihre Werke haben nichts hermetisches, sie sind präzise und intelligent, dabei bleiben sie aber sehr zugänglich und spielerisch. «Sobald ich meinen Datenhunger gestillt habe, versuche ich eine Zugang zu diesen Informationen zu schaffen: sie in Kunst zu verwandeln ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen.» Schliesslich gibt sie zu: «Auch ich verstehe nicht alles.»
Die junge Künstlerin ist nicht nur neugierig, sondern auch bescheiden: als echter Profi kennt sie ihre Schwächen und ist bereit, Arbeit aus der Hand zu geben. «Bei all meinen Werken arbeite ich mit Entwicklern zusammen. Ich habe gelernt, mich mit ihnen auszutauschen. Zwar bin ich in der Lage, Prototypen herzustellen, alles Weitere muss dann aber über eine Zusammenarbeit geschehen. Viele meiner Projekte spielen auch mit Klängen – ich bin aber kein Sounddesigner …» Die meisten Kollaborationen sind bei Begegnungen ausserhalb der Schule entstanden, bei Ausstellungen oder über Freundeskreise. Das Netzwerk aus ihrer Ausbildungszeit ist allerdings noch immer solide. Suvorova erzählt, dass ihre ehemaligen Kommilitonen allesamt sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen haben. Das macht, wenn sich die Gelegenheit bietet, eine Zusammenarbeit umso interessanter. Die Vielschichtigkeit des Genres erfordert Spontanität und Flexibilität – die Stärke der Multimedia-Künstler ist es, dies erkannt zu haben.
Kommentar verfassen